Was unterscheidet ihn von anderen Laufschuhen auf dem Markt und warum wurde gerade mit diesem Schuh die magische 2h Grenze im Marathon unterschritten?
Im zweiten Teil dieses Blogeintrags schauen wir uns den Aufbau des Nike Vaporfly 4% (VP) an.
Zunächst einmal ist der VP aufgebaut wie jeder andere Laufschuh. Der weiche Schaum (=engl. Foam) in der Mitte des Laufschuhs (= engl. Midsole) ist durch eine abriebfeste Außensohle geschützt, um die Lebensdauer zu verbessern. Oberhalb der Midsole wird eine Einlegesohle in den Schuh gelegt, um den Komfort zu erhöhen. Falls benötigt werden hier auch orthopädische Sporteinlagen verwendet.
Eine Neuheit im VP war die Art und Weise, wie eine Carbon Platte (siehe Grafik) in den Schuh integriert wurde. Von der Midsole umschlossen fungiert sie im Verbund als Dämpfelement in der vertikalen, sowie als Versteifung des Schuhs in der Longitudinalen (Längsachse).
Als die leistungssteigernde Wirkung des VPs von der Arbeitsgruppe um W. Hoogkamer und R. Kram veröffentlicht wurden, lag die Vermutung nahe, dass vor allem die Integration dieser Carbon Platte für eine verbesserte Running Economy verantwortlich ist.
Im Folgenden werden wir sehen, dass dem leistungssteigernden Effekt aber noch andere Faktoren zu Grunde liegen..:
Longitudinal Bending Stiffness – Die Biegesteifigkeit
Durch den Einsatz der Carbon Platte wird die longitudinale Bending Stiffness (LBS) der Schuhe erhöht und somit eine extreme Streckung der Zehen in der Abstoßphase unterbunden. Des Weiteren wurde eine Umverteilung der Kräfte innerhalb des Beins festgestellt. Die höhere LBS verlagert den Kraftansatzpunkt weiter nach vorn, hin zu den Zehen, und vergrößert somit die Arbeit, die von der Wadenmuskulatur und den Zehenbeugern verrichtet wird. Diese Mehrarbeit wird von einem verringerten Drehmoment um das Kniegelenk ausgeglichen.
Zusätzlich wird durch die Geometrie der Carbon Platte die funktionelle Rocker- (Kipphebel) Funktion über den Vorfuß unterstützt (siehe Grafik).
Während es Studien gibt, die bei schnellen Laufgeschwindigkeiten eine Verbesserung der Running Economy durch steifere Schuhe festgestellt haben, gibt es andere Forschungsgruppen, die diesen Effekt nicht feststellen konnten. Diese Unklarheit spricht dafür, dass die Running Economy nicht nur durch die Steifigkeit beeinflusst wird. Eine systematische Veränderung der Running Economy kann also nur unter Einbezug weiterer Variablen stattfinden.
Dämpfung – Mehr ist nicht immer besser!
Im ersten Teil des Blogeintrags haben wir bereits darüber gesprochen, dass sich die dämpfenden Eigenschaften von Laufschuhen positiv auf die Running Economy auswirken. Energie kann im Vergleich zum Barfuß Laufen eingespart werden. Die Dämpfung der Schuhe übernimmt partiell die Absorption der initialen Bodenreaktionskräfte, wodurch die Muskeln in dieser Phase entlastet werden. Sogenannte Mikrofrakturen, die durch hohe Stoßbelastungen in der Muskulatur auftreten und somit ihre Leistungsfähigkeit einschränken, können somit verringert werden.
Eine noch extremere Dämpfung (durch noch weichere und dickere Midsoles) hat allerdings keinen messbaren Effekt. Somit ist die verbesserte Running Economy, die durch das Tragen des 4% Schuhs nachgewiesen wurde, nicht allein durch seine weiche und dicke Midsole zu erklären.
Diese beiden Faktoren sind, neben der Geometrie der Laufschuhe, die großen Stellschrauben mit denen High-Performance, Freizeit- oder Stabilitätsschuhe entwickelt werden.
Wie kann jetzt die Wirkungsweise dieser Faktoren definiert werden und inwiefern sind Interaktionseffekte zwischen diesen Faktoren zu berücksichtigen?
Um diese Frage beantworten zu können müssen die Eigenschaften des Schuhs (Steifigkeit, Dämpfung, Geometrie), sowie die Funktionalität des Systems Mensch-Schuh untersucht und verstanden werden.
Zum jetzigen Zeitpunkt deuten die Ergebnisse aktueller Studien darauf hin, dass eine Verbesserung der Running Economy nur durch eine Kombination der Eigenschaften eines Schuhs erreicht werden kann. Diese Eigenschaften sind hier zu berücksichtigen:
- Midsole Schaum
Dämpfungseigenschaften
Resilienz/Widerstandsfähigkeit des Midsole – Schaums
- Longitudinale Bending Stiffness
Versteifung des MTP Gelenks (Zehengrundgelenke)
Verlängerung des Hebels um das obere Sprunggelenk
- Geometrie des Schuhs und der Carbon-Platte
Vorfuß Rocker Funktion
Aber wenn die Wirkungsweise biomechanisch nicht erklärt werden kann, wie konnte so ein Schuh dann entwickelt werden?
Nike hat den perfekten Laufschuh für den Marathon Weltrekordhalter Eliud Kipchoge entwickelt. Das Ziel hierbei war die 2h Grenze im Marathon zu durchbrechen und damit wieder einen Schritt vor der Konkurrenz zu sein. Viel Zeit und Geld wurde investiert, um herauszufinden wie die Running Economy von Eliud Kipchoge zu verbessern ist und wie er vom Design verschiedener Prototypen profitiert. Die Entwicklung des VP beruht somit nicht auf der systematischen Änderung biomechanischer Parameter, sondern lediglich auf dem Grundgedanken die Running Economy zu verbessern.
Wie lange die Biomechanik nun braucht, um die Wirkungsweise des VPs grundlegend zu erklären, bleibt abzuwarten.
Fazit
Auch wenn es viele Diskussionen über diesen Schuh gibt – es ist super, dass es ihn gibt. Es ist ein neuer Anstoß für die Forschung, ein neues Thema für regulierende Organe (World Athletics, siehe Teil I), sowie für Profi- und Hobbysportler.
Falls Ihr Euch diesen Schuh gekauft habt oder überlegt ihn zu kaufen: Betrachtet ihn wie ein Sportgerät. Der Körper muss sich auf den neuen Stimulus einstellen. Wenn zu wenig Erholungszeit zwischen den Läufen gegeben wird, steigt die Verletzungsgefahr.
Egal welchen Schuh ihr gerade benutzt – Komfort und Spaß am Laufen ist nicht zu unterschätzen und sollte beim Schuhkauf berücksichtigt werden.
Wie immer: Falls ihr Fragen oder Kommentare habt, meldet Euch gerne unter david@praemedicon.de
Ich freue mich auf Eure Rückmeldungen!