Hartnäckige Rückenschmerzen, ständig wiederkehrende Entzündungen der Schienbeinvorderkante oder lästige Schmerzen an der Knievorder- und außenseite: Zahlreiche Triathleten können ein Lied davon singen. Meist geht der Blick in der Therapie zur schmerzenden Stelle. Maßnahmen sind häufig die Behandlung beim Physiotherapeuten, die passive Schuheinlage oder – schlimmstenfalls – eine Operation. Für viele Athleten bringen diese Stellschrauben eine Entlastung – aber nur kurz. Den Beschwerden gehen aber meist Fehlhaltungen in Wirbelsäule, Schulter und Hüfte voraus, die nicht erkannt und korrigiert werden. Über Muskelketten und Bindegewebe steht der Schultergürtel und Rumpf mit den Beinen in Verbindung. Fehlhaltungen sorgen dann für einseitig beanspruchte Muskulatur und mangelnde Stabilität, die für die gesundheitlichen Probleme verantwortlich sind. Was Muskelketten sind, wie sie sich auf die Leistung auswirken und was ihr bei Fehlhaltungen unternehmen könnt, schildere ich euch im folgenden Artikel.
Muskelketten – von Kopf bis Fuß verbunden!
Muskelketten bestehen aus einer Verbindung von Muskeln, die über Faszien strukturell und funktionell miteinander verknüpft sind. Es gibt verschiedene Muskelketten im Körper: eine vordere, eine hintere, zwei seitliche und spiralförmige Muskelketten. Die vorderen und hinteren Muskelketten verlaufen gerade vom Kopf bis zu den Füßen. Sie werden deshalb auch als „vertikale“ Muskelketten bezeichnet. Im Zusammenspiel ermöglichen die vertikalen und seitlichen Muskelketten die Aufrichtung und Stabilisierung des Körpers im Stand. In der Laufbewegung wird der Körper allerdings im Idealfall über die spiralförmigen Muskelketten stabilisiert und aufgerichtet.
Muskelketten und ihre Funktion: Zug für Zug zur Stabilität
Um die Funktion von Muskelketten zu verstehen, muss man sich zunächst die Frage stellen: Welche Funktion haben einzelne Muskeln bzw. Muskelgruppen? Ein Muskel hat die einfache Aufgabe, die Gelenke, die er überzieht, zu bewegen oder zu stabilisieren. Muskelgruppen erhöhen die Kraft, mit der ein Gelenk bewegt wird und richten es aus, indem mehrere Muskeln zusammenarbeiten. Der Fokus liegt dabei auf ein oder zwei Gelenken.
Muskelketten müssen dagegen den gesamten Körper gegen die Schwerkraft aufrichten und stabilisieren. Dies passiert im Zusammenwirken der jeweiligen einzelnen Muskeln und Muskelgruppen, obwohl die Muskeln der Ketten nicht direkt miteinander in Verbindung stehen. Allerdings sind viele Muskeln über Faszien indirekt miteinander verbunden. Zieht sich ein Muskel an einer Stelle des Körpers zusammen, wird auch die Faszie unter Zug gesetzt. Muskeln mit einer Verbindung zur gleichen Faszie, werden an Sehne und Muskelfasern auch unter Zug gesetzt. Spezielle Fasern im Muskel erfassen diese Spannung als Dehnung und leiten die Informationen an das Nervensystem weiter. Dort kann diese Information verarbeitet und in Muskelaktivität umgewandelt werden. Somit wird die Muskelanspannung an die Muskeln entlang der Kette weitergegeben und der Körper aufgerichtet bzw. stabilisiert.
Aus diesem Zusammenhang erschließt sich auch die Wichtigkeit gesunder und gut ernährter Faszien. Denn wenn das Fasziengewebe sich verhärtet und verklebt, kann die Spannungsweitergabe nicht optimal funktionieren.
Wie Schulterblatt und Wirbelsäule die Laufbewegung beeinflussen
Die Aktivierung vertikaler Muskelketten geschieht automatisch in Ruhepositionen. Wenn wir z.B. am Schreibtisch sitzen, spannen wir die Rückenstrecker an, um nicht mit dem Kopf auf dem Tisch aufzuschlagen. Dasselbe passiert im Stand in Verbindung mit der Beinmuskulatur. Die Schwerkraft fordert also – außer in Liegeposition – eine kontinuierliche Aufrichtung des Körpers.
Die spiralförmigen Muskelketten können dagegen nur in Bewegung aktiviert werden. Für diese „spirale“ Stabilisierung müssen die Wirbelsäule und das Becken aufgerichtet sein und die Schulterblätter sollen sich frei nach hinten bewegen können. Das verlangt aktive Entspannung in der Brustmuskulatur, im Hüftbeuger und vorderen Oberschenkelmuskel. Für Triathleten also ein absolutes „Muss“, um bessere Laufleistungen zu erzielen. Denn jede Instabilität bedeutet auch Leistungsverlust.
Wichtigster Ausgangspunkt ist dabei die Aktivierung des breiten Rückenmuskels Latissimus Dorsi. Dieser Muskel hat eine sehr große Bindegewebsverbindung von der Brustwirbelsäule bis zum unteren Ende der Wirbelsäule am Kreuzbein. Durch dessen Aktivierung wird die erzeugte Spannung an benachbarte Muskeln weitergegeben. Darunter fallen Muskeln wie die Drehmuskeln der Wirbelsäule, die quer verlaufende Bauchmuskulatur, die Beckenbodenmuskulatur, die Gesäßmuskulatur und die Schienbeinmuskulatur. Durch die erzeugte Spannung wird der Körper in der Bewegung über den spiralförmigen Verlauf stabilisiert.
Spirale Muskellinien stabilisieren vorrangig „über Kreuz“, das heißt, das rechte Schulterblatt sorgt über das Zusammenspiel der Faszien und Muskeln für die Stabilität im linken Bein und umgekehrt. Mangelnde Mobilität im Schulterblatt geht fast immer mit Instabilität in der Beinachse der gegenüberliegenden Seite einher. Da die meisten Menschen Rechtshänder sind, ist diese Seite des Schultergürtels einseitiger Belastung ausgesetzt. Das Schulterblatt kann sich dann nicht ausreichend gut bewegen, was zur Instabilität im linken Bein führt. In unseren Analysen sehen wir dann häufig eine ausgleichende Stabilisierung im rechten Bein. Folge sind oft Überlastungen am Iliotibialband des rechten Beins, die viele Triathleten beim Laufen plagen.
Aber auch eine gebeugte Haltung der Brustwirbelsäule verringert die Beweglichkeit der Schulterblätter und sorgt für eine instabile Laufbewegung. Denn der vermehrte Rundrücken schiebt die Schulterblätter nach vorne. Dadurch wird die Aktivierung der Spirallinie unmöglich gemacht.
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